Forschung: Lagebildinstrument zu Gewalterfahrungen gegen öffentlich Beschäftigte
Um der zunehmenden Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst zu begegnen, ist das BMBF-Forschungsprojekt InGe gestartet. Disy realisiert dafür die zentrale Datenerfassung und -auswertung.

Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst rückt immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit, zuletzt in der vergangenen Silvesternacht. Einsatzkräfte im Rettungsdienst, bei Feuerwehr und Polizei, aber auch Lehrer oder Busfahrer berichten von Bedrohungen bis hin zu tätlichen Angriffen. Neben der belastenden persönlichen Situation entstehen auch gesellschaftliche Schäden durch Dienstausfälle und Behandlungskosten. Weder in Baden-Württemberg noch deutschlandweit existiert ein umfassendes Lagebild. Strafbare Gewalthandlungen werden zwar über die Polizeiliche Kriminalstatistik quantifiziert, niederschwellige Gewaltvorfälle ohne spätere Anzeige bleiben allerdings unerfasst. Punktuelle Umfragen und Studien beschränken sich auf bestimmte Berufsgruppen oder Vorfallsarten und zeigen weder ein flächendeckendes Gesamtbild noch zeitliche Entwicklungen.
Forschungsprojekt InGe entwickelt Lagebildinstrument
Hier setzt das Forschungsprojekt „Lagebildinstrument zu Gewalterfahrungen von Beschäftigten im öffentlichen Dienst“ (InGe) an. Ziel des im Oktober 2022 gestarteten Projekts ist die Entwicklung eines neuartigen, softwaregestützten Instrumentes zur Erfassung und Auswertung von Gewaltvorfällen. Das Projekt soll aufzeigen, wie man ein Softwaresystem und entsprechende Meldeprozesse gestalten kann, um einen umfassenden Überblick zum Ausmaß, zur zeitlichen Entwicklung und zur räumlichen Verteilung von Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst von Baden-Württemberg zu erhalten.
Der Forschungsprototyp wird in mindestens zwei baden-württembergischen Kommunen in mehreren Beispielbehörden intensiv getestet. Durch die kontinuierliche Datenerhebung über ein Meldeportal, gekoppelt mit detaillierten Auswertungen, wird die Möglichkeit schaffen, das Phänomen von Gewalterfahrungen verschiedenster Art im öffentlichen Dienst zu erfassen, zu analysieren und längerfristig zu beobachten. Das Projekt soll zukünftig auch für andere Bundesländer einen Lösungsansatz bieten und mittelfristig zur Prävention von Gewaltvorfällen beitragen.
Das FuE-Projekt InGe wird von der Gemeinsamen Zentralstelle Kommunale Kriminalprävention (GeZ KKP) im Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg koordiniert und vom Centre for Security and Society (CSS) der Albert-Ludwig-Universität in Freiburg wissenschaftlich ausgestaltet. Disy verantwortet als erfahrener Digitalisierungspartner der öffentlichen Verwaltung die softwaretechnische Ausgestaltung von Meldeportal und Auswertungsalgorithmen zur Erstellung des Lagebildes. Das auf zwei Jahre Laufzeit angelegte FuE-Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Fördermaßnahme „Anwender – Innovativ II“ anteilig finanziert.
Disy realisiert zentrale Datenerfassung und -auswertung
In der ersten Projektphase konzipiert Disy die softwareseitigen Grundlagen des Meldeinstruments. Mit disy Cadenza, der Software für Business und Location Intelligence, wird zunächst ein Meldeportal entwickelt, in dem Gewaltvorfälle mit möglichst wenig Aufwand erfasst werden können. Auf der so entstehenden zentralen Meldedatenbank können dann Datenanalysen zur Deliktverteilung in verschiedenen Dimensionen (Deliktarten, betroffene Berufsgruppen, …), zur räumlichen Verteilung und zur zeitlichen Entwicklung durchgeführt werden. Hier kommen die Stärken von disy Cadenza als flexible, mächtige und benutzungsfreundliche Software zur Auswertung und Visualisierung räumlich-zeitlicher Phänomene zum Tragen. Für die verschiedenen Nutzergruppen sollen Dashboards für spezifische Informationsbedarfe entwickelt werden, die sich flexibel der aktuellen Datenlage anpassen. Mithilfe automatisierter Reporting-Funktionen von disy Cadenza können dann für unterschiedliche Bedarfsgruppen individualisierte, regelmäßig aktualisierte Lagebilder erstellt werden, die schnell und treffsicher die aktuelle Situation beschreiben und auf Auffälligkeiten hinweisen. Bei besonders ungewöhnlichen Entwicklungen werden automatisch Benachrichtigungen an die zuständigen Stellen versandt.
Ob Bedarfsgruppen wie Amtsleitungen, Bürgermeister, Landräte oder Aufsichtsbehörden adressiert werden können und müssen, wird im Projekt zunächst fachlich – also organisatorisch, juristisch etc. - erarbeitet und muss dann mit den Möglichkeiten von disy Cadenza technisch umgesetzt werden. Gleiches gilt auch für weiterführende Datenanalysen, z. B. durch Benchmarking einer betrachteten Einheit (Stadtquartier, Kommune, Berufsgruppe, u. a.) gegen das Gesamtgebiet, um Problembereiche zu identifizieren. Diese können langfristig auch gezielte Präventionsmaßnahmen ermöglichen.
Herausforderungen und Ausblick
Methodisch und technisch steht das Projekt vor vielfältigen Herausforderungen. Grundlegende Fragen, wie die, welche Arten von Übergriffen erhoben werden sollen oder wie der Meldeprozess organisiert wird, werden zurzeit mit Vertretern der Praxis diskutiert. Eine der ersten Fragen ist beispielsweise, welche Akteure als Meldende und als Empfänger der Auswertungen angesprochen werden können bzw. müssen. Bei der Gestaltung der Softwarelösung müssen zudem höchste Anforderungen an Rechtssicherheit und Benutzerfreundlichkeit erfüllt werden. Es müssen nicht nur auf der Meldeseite geeignete Anonymisierungskonzepte zum Schutz der Betroffenen zum Einsatz kommen. Ebenso ist auf der Auswertungsseite sorgsam abzuwägen, welche Nutzer welche Daten in welchem Detailgrad zu sehen bekommen.
Auch weitere Aspekte einer späteren Operativsetzung des Forschungsprototypen wollen bereits bedacht sein, wie beispielsweise eine gute Erweiterbarkeit auf neue Berufs- oder Deliktgruppen oder auch Performanzaspekte, wenn man bedenkt, dass der Kreis der potentiell Betroffenen allein in Baden-Württemberg weit über 600.000 Personen umfasst. Im zweiten Projektjahr sind umfangreiche Praxistests in baden-württembergischen Kommunen geplant. Eine erste öffentliche Vorstellung des Projektansatzes soll beim 28. Deutschen Präventionstag im Juni 2023 in Mannheim erfolgen.