Pionierarbeit: Forschungsprojekt entwickelt neue Meldeplattform für Gewaltvorfälle
Im Beisein des Innenministers stellte das Forschungskonsortium InGe den Prototyp der Meldeplattform für Gewaltvorfälle im öffentlichen Dienst vor. Entwickelt wurde er auf Basis von disy Cadenza.
Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst ist seit Jahren ein wachsendes Problem. Strafbare Handlungen, die als sogenannte Opferdelikte klassifiziert werden – dazu zählen Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung – lassen sich im Allgemeinen durch die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) erfassen. Handlungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze in den Bereichen physischer und psychischer Gewalt, wie etwa Respektlosigkeiten, Beleidigungen oder Bedrohungen, sind jedoch in der PKS nicht abbildbar, obwohl auch sie folgenschwere Auswirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen haben können. Um hier gegenzusteuern, ist im November 2022 das Forschungsprojekt InGe mit dem Ziel gestartet, ein Lagebildinstrument zu entwickeln, mit dem sich sowohl strafbare als auch nichtstrafbare Gewaltvorfälle systematisch erfassen und analysieren sowie zielgerichtete Präventionsmaßnahmen ableiten lassen.
Im Beisein des stellvertretenden Ministerpräsidenten und Ministers des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg Thomas Strobl wurden nun die Forschungsergebnisse im Innenministerium in Stuttgart vorgestellt. Mit dem Prototyp der neuen Meldeplattform für Gewaltvorfälle im öffentlichen Dienst haben die Gemeinsame Zentralstelle Kommunale Kriminalprävention (GeZ KKP), das Centre for Security and Society der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (CSS) und Disy Pionierarbeit geleistet. Das Projekt „Lagebildinstrument zu Gewalterfahrungen von Beschäftigten im öffentlichen Dienst (InGe)" wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Fördermaßnahme „Anwender - Innovativ: Forschung für die zivile Sicherheit II" finanziell unterstützt.
Konzeption der neuen Meldeplattform für Gewaltvorfälle im öffentlichen Dienst
Die Konzeption der Meldeplattform basiert auf Ergebnissen der Projektpartner zur Gewaltforschung. Als Grundlage dafür dienten zahlreiche Interviews mit Mitarbeitenden in der Kommunalverwaltung. Die Ergebnisse flossen in die Entwicklung der Meldeformulare, der Fragestruktur und -formulierungen. Das System bietet niedrigschwellige elektronische Meldemöglichkeiten mit Option auf Anonymität und vorstrukturierte Antworten, damit die Meldenden erlebte Vorfälle möglichst einfach beschreiben können – von der Art bis hin zum Ablauf des Gewaltvorfalls. Ebenso gibt es die Möglichkeit, Vorfälle in unterschiedlicher Detailtiefe zu beschreiben. Auch die Frage, welche Personen Vorfälle in welchen Konstellationen melden (z. B. zusammen mit einer Vertrauensperson) und bearbeiten dürfen, wurde intensiv durchdacht, um vertrauenswürdige Abläufe sicherzustellen.
Ergänzend zum ursprünglichen Projektschwerpunkt eines übergeordneten Lagebilds zeigte sich im Projektverlauf zunehmend der Bedarf, das InGe-System stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen in ihren jeweiligen Organisationen zuzuschneiden. Das ist sinnvoll, um beispielsweise nachgelagerte Verarbeitungsprozesse zu unterstützen oder im Bedarfsfall Hilfsleistungen anbieten zu können. Dabei kann auf eine im Projekt entwickelte Präventionsdatenbank zurückgegriffen werden. Das entwickelte Meldeportal ermöglicht die Erfassung, Speicherung und Auswertung von Gewaltvorfällen. Über verschiedene Meldewege können Betroffene ihren Fall melden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, einen Fall als Beobachter oder mit Hilfe einer (Vertrauensperson) zu melden.
Die erhobenen Daten werden zentral gespeichert, fachgerecht aufbereitet und für verschiedene hierarchische Leitungsebenen in Kommunen oder Landesbehörden in Form nutzerspezifischer Lagebilder bereitgestellt. Die Auswertung der Daten erfolgt mithilfe der Software disy Cadenza, die eine flexible und benutzerfreundliche Analyse von räumlich-zeitlichen Phänomenen ermöglicht. Da es sich bei Gewaltvorfällen um besonders sensible Daten handelt, mussten bei der Entwicklung der Meldeplattform höchste Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit berücksichtigt werden. Zudem gewährleistet ein durchdachtes Rollen- und Rechtesystem den kontrollierten Datenzugriff.
Praktische Erfahrungen mit der Meldeplattform für Gewaltvorfälle
Im Mai und Juni 2024 wurde der Prototyp der Meldeplattform in ausgewählten Behörden der Stadt Offenburg und dem Ostalbkreis einem Praxistest unterzogen. Dabei stand vor allem die Anwenderfreundlichkeit und Praktikabilität des Prototyps im Mittelpunkt. Die Resonanz der Anwendenden war durchweg positiv. Besonders hervorgehoben wurden die intuitive Bedienbarkeit des Meldeportals sowie die Möglichkeiten der datengestützten Auswertung und Visualisierung. Daneben wurde die Ergänzung um weitere Gewaltphänomene angeregt. Damit könnte erstmals ein umfassendes Lagebild zur Verteilung und Art von Gewaltvorfällen erstellt werden, das auch die Gewaltschwerpunkte außerhalb der PKS sichtbar macht. Dieses kann als Grundlage für die Planung von Präventionsmaßnahmen dienen.
Neben der Meldeplattform auch Grundlage für Präventionsarbeit gelegt
Neben dem Prototyp für die Meldeplattform wurde im Projekt mit der InGe-Präventionsdatenbank auch eine Grundlage für zukünftige Präventionsarbeit gelegt. Diese Datenbank beschreibt geeignete Präventionsmaßnahmen und ordnet sie Gewaltvorfällen zu. Die Zuordnung von Präventionsmaßnahmen zu Gewaltvorfällen erfolgt dabei nach den gleichen Kriterien wie die Erfassung der Vorfälle, was eine unkomplizierte Suche nach geeigneten Maßnahmen ermöglicht. Neben der Onlinenutzung steht die Präventionsdatenbank auch zum Download bereit.
Perspektiven für den operativen Betrieb der Meldeplattform für Gewaltvorfälle
Mit dem Projektabschluss im September 2024 endeten die zweijährigen Forschungsarbeiten. Der entwickelte Prototyp bietet perspektivisch erstmals die Möglichkeit auf ein umfassendes und systematisches Lagebild zu Gewaltvorfällen im öffentlichen Dienst. Damit könnte er einen wertvollen Beitrag für Prävention und Krisenmanagement leisten. Mit ihm haben Betroffene eine niedrigschwellige Möglichkeit, Vorfälle effizient zu melden. Gleichzeitig schafft er die Basis, dass auch Vorgesetzte und Amtsleitungen die Betroffenen effektiv betreuen, die Vorgänge systematisch weiterverarbeiten, Trends und Schwerpunkte erkennen und damit im Idealfall auch Vorfälle in Zukunft reduzieren können. Innenminister Strobl lobte diese Pionierarbeit und betonte, dass der Schutz der Beschäftigten im öffentlichen Dienst weiter gestärkt werden muss. Auch andere Bundesländer zeigen Interesse an der Meldeplattform.
Für einen operativen Betrieb muss das Forschungssystem noch weiterentwickelt und angepasst werden. Da Disy großes Interesse hat, sich für dieses wichtige Thema weiter zu engagieren, befindet man sich aktuell in Abstimmung mit dem Land Baden-Württemberg über die notwendigen Entwicklungsarbeiten und Betriebsoptionen. Dabei ist auch die Möglichkeit einer Software as a Service-Lösung für Kommunen oder große Einzelbehörden aus technischer Sicht vielversprechend.