Wie Geodatenanalysen unsere Bienen schützen können

Wie Geodatenanalysen unsere Bienen schützen können – damit beschäftigt sich Disy in dem vom BMEL geförderten Forschungsprojekt OCELI. Durch innovative Technologien wollen die Projektpartner die Ursachen des Bienensterbens messbar machen.

Wie Geodatenanalysen unsere Bienen schützen

Obst, Gemüse, Gewürze, Heilpflanzen und auch Honig: Bienen sind mit ihrer Bestäubungsleistung nicht nur in der Landwirtschaft von großer Bedeutung. Gerade die Bestäubung durch Wildbienen trägt zur Vielfalt der Natur bei, die wiederum Lebensgrundlage für Tiere und uns Menschen ist. Um unsere Bienen zu schützen, müssen wir uns mit den Ursachen des weltweiten Insektensterbens auseinandersetzen und gegensteuern. Dass bisherige Bemühungen nicht fruchten, liegt auch an Wissenslücken. Viele Ursachen wie zerstörte Lebensräume, Monokulturen, der Einsatz von Pestiziden und Umweltgiften sind zwar bekannt, aber das Wissen über das komplexe Zusammenwirken dieser Faktoren ist lückenhaft, da verlässliche Datengrundlagen fehlen. Diese könnten in Bezug auf die Qualitätsbestimmung von Lebensräumen beispielsweise mit Geodatenanalysen gewonnen werden.

Projektkonsortium und Ziele des Forschungsprojekts OCELI

Welche Stressoren bestehen für Bienen- und Hummelvölker und wie hängen diese zusammen? Um diese Fragen zu beantworten, ist das Forschungsprojekt „Bienenbasiertes Biomonitoring zur Erschließung der synergetischen Wirkmechanismen von Landwirtschaft und Bestäuberinsekten“ (OCELI) gestartet.

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Abb. 1: Projektkonsortium OCELI

Das Forschungsprojekt OCELI läuft bis zum Juni 2024 und wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefördert. Für die Umsetzung wurde ein Projektkonsortium aus Wissenschaft und Wirtschaft gebildet. Dieses Konsortium vereint komplementäre wissenschaftlich-technische Kompetenzen und umfangreiche Vorarbeiten in den Bereichen

  • künstliche Intelligenz (KI),
  • vernetzte Sensorik,
  • Entomologie,
  • Geointelligenz,
  • Ökotoxikologie und
  • ökologische Modellierung.
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Abb. 2: Strukturplan OCELI, Bildrechte: FZI Forschungszentrum Informatik


Im Projekt OCELI wird eine innovative Gesamtlösung geschaffen, bestehend aus Hard- und Software, den Workflows zur Erfassung der Umgebungsdaten und der Interpretation mittels Simulationsmodellen. Mithilfe dieser Lösung sollen einzelne Gefahren für Bestäuberinsekten und ihre gegenseitigen Wechselwirkungen messbar und bewertet werden.

Lösungsansatz des Forschungsprojekts OCELI

Ein Kamerasystem am Eingang des Bienenstocks filmt alle ein- und ausfliegenden Bienen

Abb. 3: Datenerfassung Bienenstock, Bildrechte: apic.ai GmbH

Um die dafür benötigten Daten zu sammeln, bringt die apic.ai GmbH ihre Expertise in der visuellen, lokalen Monitoringtechnologie für Bestäuber ein. Dazu werden vernetzte Kamerasysteme am Eingang von Bienenstöcken beziehungsweise von Hummelkolonien installiert, um die Bewegungen aller ein- und ausfliegenden Insekten kontinuierlich auszuwerten.

Das FZI Forschungszentrum Informatik, das auch die Gesamtprojektleitung von OCELI innehat, ist für die Entwicklung von Algorithmen zur Merkmalsextraktion aus Kamerabildern zuständig. Dadurch sollen die gefilmten Aktivitäten automatisiert interpretiert und somit qualitativ und quantitativ verarbeitbar gemacht werden. Diese Bildanalyse geschieht mit neuronalen Netzen, einer Methode aus dem maschinellen Lernen, einem Teilgebiet der künstlichen Intelligenz.

Die intelligente Datenauswertung soll Aufschluss darüber geben, welche Gefahren und Wechselwirkungen bestehen. Von Interesse sind hier insbesondere

  • die quantitative Erfassung von Sammelflügen,
  • die Erfassung der Bestäuber, die aufgrund von Mortalität oder beeinträchtigter Orientierungsfähigkeit nicht in den Stock zurückkehren,
  • der Eintrag von Blütenpollen als Maß für die Nahrungsverfügbarkeit und Bestäubungsaktivität.
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Abb. 4: Sammelaktivität und Pollendiversität

Die farbliche Differenzierung des eingetragenen Blütenpollens wird als Indikator für die Vielfalt der blühenden Flora in der Umgebung genutzt. Die Synthese der Geo-, Wetter-, Landnutzungs-, phänologischen und Flugmonitoringdaten geschieht technologisch in der Datenplattform disy Cadenza. Für vertiefte entomologische und ökologische Analysen, insbesondere im Hinblick auf die Vitalität und Überlebensfähigkeit der Bestäuber, werden die Daten weitergereicht an die etablierten Simulationsmodelle “BEEHAVE” und “Bumble-BEEHAVE”. Diese Analysen werden vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) durchgeführt.

In disy Cadenza, der Software für Datenanalyse und Business Intelligence, werden alle Datensätze integriert. Durch Geodatenanalysen auf Grundlage von Landnutzungsdaten im Flugradius der Bienen sollen mögliche Kausalzusammenhänge zwischen Veränderungen im Umfeld der Völker und deren Entwicklung hergestellt werden. Hierbei visualisiert Disy die Beobachtungsergebnisse des Monitorings und ermöglicht interaktive Datenanalysen.

Durch begleitende Feldstudien, die von Eurofins Agroscience Services Ecotox GmbH (Eurofins) durchgeführt werden, können Hypothesen über konkrete Ursachen für Bienenverluste geprüft werden. Auf Basis dieser Daten sollen Best Practices und effektive Maßnahmen für die bestäuberfreundliche Landwirtschaft entwickelt werden.


Mit Erkenntnissen aus Geodatenanalyse Ursachen messbar machen

Wie gelingt es nun, unterschiedlichste Daten in Geoanalysen einzubinden, um einige der Ursachen des Insektensterbens messbar zu machen? Dazu benötigt es neben den im Projekt erhobenen Daten zur Bienenaktivität zusätzliche meteorologische Daten im zeitlichen Verlauf (Regen, Temperatur, Bodenfeuchte, Grünlandtemperatursumme). Um die Flächen- und Vegetationsbewertung in Form eines Indexwertes entwickeln zu können, sind außerdem Landnutzungsdaten erforderlich:

  • Trachtmeldungen zum Angebot an Pollen, Nektar und Honigtau,
  • Aufbereitungen aus Satelliten-Daten,
  • abgeleitete Umgebungsinformationen über Agrar- und Grünflächen wie Diversitätsbewertungen und Trachtlücken.

Im Jahresablauf kann für die vorliegenden Analysezwecke die Landnutzung natürlich nicht als statische Information betrachtet werden, sondern man muss sie im Zusammenhang mit phänologischen Daten sehen, also den im Jahresablauf aufeinander folgenden Vegetationsstadien der Pflanzen. Daten hierzu liefert beispielsweise der DWD oder sie werden durch Ortsbegehungen und Drohnenflüge gewonnen.

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Abb. 5: Datenarchitektur OCELI

Alle Daten werden in ein datenbankbasiertes Gesamtsystem mit hybrider Speicher- und Verarbeitungsarchitektur integriert. Als Datenbankexperte mit langjähriger Erfahrung in der Datenintegration baut Disy dafür Verarbeitungs-Pipelines mit der Programmiersprache Julia auf, in der insbesondere numerische und wissenschaftliche Anwendungen programmiert werden. Auf dieses Gesamtsystem greift disy Cadenza für die interaktiven Visualisierungen von geotemporalen Datenanalysen zu.

Durch die Verknüpfung der Daten aus dem Bestäuber-Monitoring mit den räumlichen Umgebungsdaten sowie der Flächen- und Vegetationsbewertung ergibt sich eine mächtige Datenbasis, um Zusammenhänge zwischen Veränderungen im Umfeld der Völker fundiert analysieren zu können. Damit könnten Geodatenanalysen ein Ansatz sein, mit dem sich Ursachen des Insektensterbens messbar machen lassen. Die Untersuchungsergebnisse, wie sich die zahlreichen Umweltfaktoren auf die Parameter der Bienenaktivität auswirken, lassen sich natürlich auch in optisch ansprechenden Dashboards präsentieren.

Heatmapdarstellungen, Erreichbarkeitsanalysen, räumliche Datenfilter oder Schieberegler: Mit den geoanalytischen Funktionen von disy Cadenza kann für OCELI beleuchtet werden, wie sich räumliche und zeitliche Aspekte über die Zeit verändern. Das bietet interessante Ansätze, um die Entwicklung relevanter Faktoren wie Vegetation und Phänologie, Futterangebot und Wetter im Zeitverlauf zu analysieren.

Da der Aufbau der umfassenden Datenbasis für OCELI noch bis zum Herbst andauert, wurden die bisherigen Experimente und Entwurfsstudien zur Geoanalyse noch überwiegend mit Daten aus den umfangreichen Vorarbeiten der Projektpartner apic.ai, FZI und UFZ durchgeführt. So veranschaulichen beispielsweise die Abbildungen 6 und 7 die Bienenaktivitäten verschiedener Völker im Vergleich, insbesondere auch im zeitlichen Verlauf, um als erste Plausibilitätsprüfung mögliche Korrelationen zwischen Bienenaktivität und Wetter zu sehen. Die Abbildung 8 nimmt den räumlichen Kontext hinzu, indem die Standorte der beobachteten Bienenstöcke und der typische Flugradius in einer detaillierten Landnutzungskarte des UFZ verortet werden.

Zusammenhang von Umweltdaten und Bienenaktivität
Abb. 6: Dashboard Umweltdaten
Aufbereitung der Bienendaten im Dashboard
Abb. 7: Dashboard Bienenaktivität

In einem früheren Projekt hat apic.ai auch zu verschiedenen Zeitpunkten die gesammelten Pollenarten im Labor nach der Pflanzenart klassifizieren lassen. Abbildung 9 zeigt für zwei Standorte, wie unterschiedlich die Tagesausbeuten eines Volkes hinsichtlich der besuchten Pflanzenarten sein können. In OCELI wird nun untersucht, inwiefern sich die aufwendigen und zeitraubenden Laboruntersuchungen durch KI-basierte Bilderkennung ersetzen lassen, so dass man quasi in Echtzeit die tägliche (oder auch stündliche) Pollenvielfalt erfassen kann. Für die Menge des eingetragenen Pollens konnte dies dank echtzeitfähiger Algorithmen bereits erreicht werden.

Wenn solche Daten als langfristige Zeitreihen vorliegen, kann man einerseits die Qualität eines Lebensraums bezüglich der Nahrungsmenge und -vielfalt und die Bienengesundheit in Abhängigkeit von lokalen und regionalen Faktoren einschätzen, die von der konkreten landwirtschaftlichen Nutzung oder von umgesetzten Naturschutzmaßnahmen beeinflusst werden. Aber andererseits können auch umgekehrt die Bienenvölker als „Biosensoren“ genutzt werden und über ihre Sammelleistung und Gesamtaktivität Rückschlüsse auf den Zustand der lokalen Ökosysteme und der Vegetation zulassen.

Die einfachste Verwendungsart ist natürlich die, aus den gesammelten Pollen sehr hoch aufgelöste Vegetationskarten erstellen zu können. Aber es lassen sich mithilfe von mehrjährigen Beobachtungen auch die Reaktionen der Pflanzen auf Trockenstress, Hitzeperioden oder andere Phänomene des Klimawandels, auf invasive Spezies oder auch auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln etc. untersuchen. Dabei geht es immer um die Zusammenhänge komplexer räumlich-zeitlicher Phänomene im jeweiligen geographischen Kontext – also genau die Fragestellungen, für die disy Cadenza ideal geeignet ist.

Wenn es gelingt, solche Rückschlüsse aus der Bienenaktivität auf den Zustand des Ökosystems und der Vegetation zu ziehen, machen diese Rückschlüsse zusammen mit den zuvor schon erfassten Basisdaten, z. B. aus der Fernerkundung, eine automatisierte Berichterstattung über die Landschaftsstruktur sowie eine automatisierte Flächenbewertung möglich. Dazu untersucht Disy, wie sich die verfügbaren Datenquellen intelligent verschneiden lassen, um standortspezifische Aussagen bezüglich der detaillierten Landnutzung oder des ökologischen Zustands abzuleiten.

Standorte von Bienenvölkern und umgebende Landnutzung
Abb. 8: Landnutzung und Bienenstöcke
Vergleichende Pollenanalyse an verschiedenen Standorten
Abb. 9: Dashboard Pollenanalyse
Biodiversitätsindex
Abb. 10: Biodiversitätsindex

Geodatenanalysen mit Mehrwert für Bienen und Kunden

Mit seiner innovativen Technologie soll OCELI dazu beitragen, dass Ursachen des Bienensterbens messbar werden. Durch die neue Prüfmethodik sollen die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf unsere Bienen transparenter werden, was sowohl die Zulassungsprozesse verbessern als auch die gesellschaftliche Debatte über die Schäden versachlichen kann. Umgekehrt sollen aber auch Bienenvölker als Biosensoren dabei helfen, Flächen ökologisch zu bewerten, um dadurch die Resilienz oder Empfindlichkeit der lokalen Ökosysteme gegenüber dem Klimawandel besser einschätzen zu können.

Die Daten sollen zudem dabei helfen, gezielte Maßnahmen zu entwickeln, mit denen das ökologische Potenzial von Flächen als Lebensraum für Bestäuber unter Berücksichtigung der bereits vorhandenen Strukturen erschlossen werden kann. Der Erfolg solcher Maßnahmen kann mithilfe eines Vorher-Nachher-Vergleichs messbar gemacht werden.

Der Mehrwert der entstehenden Lösung ergibt sich aus der Verknüpfung der durch die Projektpartner entwickelten Komponenten und Dienste. Die automatisierte Erzeugung von Status-Reports zur Landschafts- und Flächenbewertung kann eine neue datenbasierte Dienstleistung, zum Beispiel für Prüfstellen, Landwirte oder öffentliche Institutionen der Landschaftsplanung werden.

Disy wird im Rahmen von OCELI verschiedene Funktionalitäten seiner aktuellen Software-Produkte für die Projektzwecke prototypisch erweitern sowie neue Features testen, z. B. für die automatisierte Erstellung komplexer Reports. Auch das Einklinken externer Algorithmen (Maschinelles Lernen, Simulationsmodelle) in disy Cadenza ist ein spannendes Thema. Disy wird im Projekt seine Expertise auf Gebieten wie hybrider Datenhaltung (Datenströme, Geobasisdaten, Fernerkundungsdaten), Bildanalyse und der neuen Programmiersprache Julia erweitern und damit in Zukunft noch schwierigere Systemintegrationsaufgaben für seine Kunden lösen können. Viel wichtiger ist jedoch, dass dieser Projektansatz dabei hilft, unsere Bienen zu schützen, und damit zur Sicherung unserer Lebensgrundlagen beiträgt.